Mit Hölderlin zum Geisterspiel

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 30

Armin Thurnher
am 15.04.2020

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Heute früh sah ich dem Morgenreif beim Dahinschmelzen zu, eines der vielen Privilegien, das mir die Seuche verschafft. Als ich mich bei seinem Aufleben mit dem Grün freute, verstand ich das Wort „ergrünen“. Gleich sprang mir der Hölderlin-Satz ins Gedächtnis, den Jean-Marie Straub zum Titel seines Empedokles-Films gemacht hat, „Wenn dann der Erde Grün von neuem euch erglänzt…“

Der Titel ist eine Zusammenziehung aus „Wenn dann der Geist sich an des Himmels Licht / entzündet… Dann aus der Wonne schöner Dämmerung / Der Erde Grün von neuem euch erglänzt“. Das stammt aus der Rede des Philosophen Empedokles, den die Bürger von Agrigent zuerst verstoßen haben und dem sie nun vergeblich die Königswürde anbieten. „Diß ist die Zeit der Könige nicht mehr“ antwortet ihnen Empedokles und „Schämet euch/ Daß ihr noch einen König wollt“.

Empedokles hat eine andere Vision: „dann reicht die Händ’/ Euch wieder, gebt das Wort und theilt das Gut/ (…) „jeder sei / wie alle, wie auf schlanken Säulen, ruh / Auf richtigen Ordnungen das neue Leben.“ Hölderlin schrieb das 1799, unter dem Einfluss der französischen Revolution, und es ist nichts anderes als ein Aufruf zum Kommunismus.

David Alaba (Foto: Granada, CC-BY-SA 4.0), mit Friedrich Hölderlin 1792, Pastell von F.K. Hiemer

Der Seuchenkommunismus wird nicht das Ende von Corona krönen, obwohl mancherorts am Anfang so etwas anklang. Jetzt wetzen schon die Austeritätspropheten ihre Messer und zeichnen die Konturen einer neuen Normalität, in der wir Vielen den Gürtel enger schnallen müssen, um die Eigentumsverhältnisse zum Vorteil der Wenigen so zu erhalten, wie sie sind.

Ich sehe das Grün vor mir und denke dabei melancholisch an den Fußball. Warum fehlt er mir so wenig? Weil er inflationiert wurde, zum Merchandising- und Kommerz-TV getriebenen Spektakel, visuell zerstört in Konferenzen, zu Tode gequatscht und in seinen Spitzenausformungen ein obszönes Beispiel für eine Gesellschaftsordnung, die nicht mehr auf den schlanken Säulen der Gerechtigkeit ruht, sondern aus diesen Säulen ihre Refugien auf dem Volk unzugänglichen karibischen Inseln gebaut hat.

Fußball, dachte ich mir oft, ist eine Einübung in unakzeptable Verhältnisse. Alle verstehen was vom Sport. Er ist unkompliziert genug, keine Verständnishürden aufzubauen. Es ist gerecht, dass ein Spitzenfußballer ordentlich verdient, denn seine Karriere ist kurz. Aber wenn er mit Abermillionen überschüttet wird, dient das nicht nur seinem Wohl, sondern auch unserer Bereitschaft, absurde Löhne zu akzeptieren. Geld schießt Tore, das haben jetzt alle gelernt.

Wieviele Banken und Sparkassen wurden ruiniert, weil ein dürftiges Management sich einbildete, siebenstellige Gehälter zu verdienen zu müssen? 20 bis 30 Millionen Dollar für die Vorstände großer Banken und Fonds, ganz normal. Der Schaden von 2008, den sie angerichtet haben, sah keinen einzigen von ihnen vor Gericht.

Dass sich gerade in Zeiten der Krise keiner anmaße, denen „an die Substanz“ zu gehen! Denn von der leben „wir alle“. Deswegen müssen wir unsere Herzeigeprofis auch weiterhin fürstlich bezahlen, wir wollen sie ja herzeigen, und wenn wir anfangen, sie aufs menschliche Maß zu reduzieren, wo kämen wir denn da hin? Gehälter als Objekt einer gesellschaftlichen Debatte? Wieviel mehr ist uns David Alaba

wert als eine mobile Altenpflegerin, deren Namen wir nicht nennen, um sie vor beruflichen Konsequenzen zu schützen? Solche Debatten gehen immer schief, die Schweizer haben es vorgemacht und gegen die Deckelung von Managergehältern gestimmt. Das Millionenbusiness Sport ist das Exempel, das uns solche Sachen lehrt.

Da sagt der ÖFB-Präsident im Radio, es gehe nun darum „das Kulturgut Fußball im halbwegs ursprünglichen Rahmen zu Verfügung zu stellen“. Was heißt denn das? Wohltrainierte 22 Damen oder Herren auf dem grünen Rasen vor null Zuschauern, mit Hunderten, Tausenden, Millionen an den Schirmen? Wer je in Wolfurt, St. Magdalen, Ritzing oder gar auf der alten Pfarrwiese auf einer Tribüne saß oder stand, weiß, das gilt nicht.

Am wenigsten vermisse ich den Jargon der Sportreporter, die solche Spiele dann kommentieren und von einem Stürmer sagen, er habe die Seuche, weil er seit fünf Spielen das Tor nicht trifft. Und dann sagt es der Spieler selber und alle sagen es, denn Sprache ist ein Virus und die Phrase ist eine hochansteckende Krankheit.

Vieles deute auf Geisterspiele hin, fügt der Reporter im Radio hinzu. Sportminister Kogler wird es – live und ausnahmsweise nicht durchgeschaltet – verlautbaren, wenn diese Kolumne erscheint.

Geisterspiele also – das ist der „halbwegs ursprüngliche Rahmen“. Hoffentlich kommen sie die Ghostbuster. Aber auch die werden den Fußball nicht auf die schlanken Säulen der richtigen Ordnung stellen. Geschweige denn unser neues, postvirales Leben.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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