Pause fürs C-Wort. Hört Bach!
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 21
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Die Seuchenkolumne hat gegenüber anderen Kolumnen dieses Genres den Vorteil, frei in der Themenwahl zu sein. Ich sehe ein, es ist notwendig, das Volk medial zur Ordnung anzuhalten. Medien sind Ordnungsmächte, wie sich in dieser Krise zeigt. Aber manchmal mag man vielleicht doch etwas hören oder lesen, das sich des C-Worts enthält.
Bezüge zu Seuchen werden hier immer hergestellt, manchmal aber genügt dafür die am weitesten verbreite und am wenigsten heilbare unter ihnen. Bei ihr liegt der seltene Fall einer sehr hohen Durchseuchung bei gleichzeitiger völliger Absenz von Immunität vor. Gegen die Dummheit ist Herdenimmunität unmöglich. Man muss vielmehr von herdenhafter Dauerinfektion sprechen.
Die Kolumne nimmt sich das Recht, mitunter über Schönheit zu sprechen, in Sprache, Kunst und Musik. Die Karwoche ist für mich die Woche Johann Sebastian Bachs.
Ehe ich bei ihm den Seuchenbezug herstelle, eine kleine Anekdote. In den Siebziger Jahren, es war die Hochblüte der sogenannten Kommunistischen Gruppen, der K-Gruppen, unterhielten wir uns mit einem 17jährigen Knaben und seinen deutschen, mit uns bekannten Eltern über die Karwoche. Der Knabe fragte neugierig, was denn nun alles für Veranstaltungen, Demonstrationen und Feste zu erwarten seien. Und warum diesen Gruppen vor Ostern gleich eine ganze Woche zugestanden werde, diese K-Woche?
So etwas würde heute keiner mehr fragen. Die Karwoche ist die Woche der Passionsmusik, und die ist, auch wenn gerade Krzysztof Penderecki verstarb, dessen Lukas-Passion alle Welt rühmte, ohne sie gehört zu haben, die Musik Johann Sebastian Bachs. Er schrieb die Leidensmusik aller Leidensmusiken, die „kleinere“ Johannespassion und die „größere“ Matthäuspassion.
Als der bedeutende, vor kurzem verstorbene deutsche Tenor und Dirigent Peter Schreier gefragt wurde, ob er gläubig sei, antwortete er trocken: „Ich glaube an Johann Sebastian Bach.“ Das freute mich sehr, denn ich schrieb einmal, Bach sei eine Art Zivilreligion für Atheisten. Der Satz errang das Wohlgefallen eines meiner strengsten Kritiker, des Pianisten Alfred Brendel, den ich stolz bin, einen Freund nennen zu dürfen. Als man ihn nach seinem Rücktritt von der Konzertbühne fragte, was er anders machen hätte sollen, dachte er nach und sagte: „Vielleicht hätte ich mehr Bach spielen sollen.“ Ein bisschen hat er es doch getan. Es ist wert, gehört zu werden.
Blicke ich auf meine Tätigkeit als Schriftsteller zurück, muss ich sagen. Vielleicht hätte ich mehr über Bach schreiben sollen. Ein paarmal habe ich es gemacht, im Falter, oder in der Broschüre zu dieser CD : „Hunderte Bücher helfen dabei, Bachs Genie zu verstehen. Am Ende weiß man so viel als wie zuvor. Das Wissen hilft dennoch, wie immer, denn Bach sah seine Musik auch als Wissenschaft. Andererseits hilft es gar nicht, denn Bachs Musik macht einen andächtig. Viele, fast alle Texte über Bach (so auch dieser) entgehen nicht einer gewissen, vielleicht verdächtigen Frömmigkeit. Goethe tat nicht so, als merke er das nicht. Ihm schien es, als er Bachs Musik hörte, wie ,wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte‘“.
Aus den hunderten Büchern ragt eines hervor, vielleicht haben Sie Zeit, es einmal anzuschauen. Es stammt vom englischen Dirigenten und Autor John Eliot Gardiner, der es schrieb, während er Bachs Werke mit seinem Ensemble spielte, ab liebsten an den originalen Aufführungsstätten. Es ist ein gelehrtes, aber auch überaus anschauliches Werk. Ich denke, ich werde in dieser Woche noch von ihm reden.
Uns sind die Schicksale anderer, vielleicht zehn Generationen vor uns Lebender unvorstellbar. Bachs Witwe, Anna Magdalena Bach, der Welt und vielleicht sogar Ihnen, wenn Sie Klavier gelernt haben, durch das Notenbüchlein bekannt, das Bach für seine Frau zusammenstellte, diese Anna Magdalena Bach stürzte nach dem Tod ihres Mannes in die Armut. Sie fristete ihr Lebensende als „Armenhäuslerin“ in einem militärischen Seuchenlazarett damit, gebrauchte Leinwand in Fetzen zu zerreißen, die dann zu Verbandsmaterial verarbeitet wurden. 1759 wütete in Preußen der Gasbrand, der eine Armee des Preußenkönigs Friedrich „des Großen“ von 48.000 Mann auf 3000 reduzierte, worauf dieser schrieb, er habe „das Gift in der Tasche“, um sich selbst umzubringen.
Bach selbst litt nur indirekt unter Seuchen. Die Hepatitis betraf die Zöglinge im von ihm geleiteten Internat. Die Influenzawelle von 1729 verhinderte viele öffentliche Aufführungen und brachte ihn um damit verbundene Einnahmen.
Keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher