Landidylle

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 16

Armin Thurnher
am 01.04.2020

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Heute früh hörte ich ein wohlvertrautes Geräusch. Ein Knall, ein Aufprall, ein Kratzen. Ich wusste durch den geschlossenen Innenladen des Fensters, was es war: ein Falke, der versucht, am Fensterkreuz zu landen und sich dort festzukrallen. Ich sah so eine Landung, nein, so einen Aufprall, einmal bei offenem Laden, der Falke starrte mir in die Augen, spreizte Schwingen und Schwanzfedern und murmelt bei sich etwas wie: Wäre da nicht dieses komisch Etwas, das ich nicht durchdringe, ich würde dich töten. Dann ließ er sich fallen.

Hier herum brüten Falken. Einer sitzt in der Früh auf dem Turm, unbeweglich, steingraue Skulptur eines Killers. Unten vis-à-vis

© Irena Rosc

hat meine Frau ein Gedicht von Ted Hughes an die Wand gepinselt, Hawk Roosting. Der Falke kann es sehen, aber nach allem, was wir wissen, nicht lesen. Hughes ist bei Feministinnen als Ehemann Sylvia Plaths verhasst. Meiner Meinung nach zu Unrecht. Das ist eine lange Geschichte, aber er hat einige der schönsten Tiergedichte überhaupt geschrieben. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen belächeln Gedichte. Ich nicht. Ich schrieb eins über den Falken an meinem Fenster, vielleicht veröffentliche ich es einmal. Heute nicht.

Vor zwei Jahren fiel ein junger Falke in einen Schornstein. Wir bemerken es erst zwei Tage später, als wir im Erdgeschoß leise Geräusche hinter verschlossener Kaminputztüre hörten und Kater Hannibal sich verdächtig oft zur Putztüre schlich. Als wir sie öffneten, spazierte der Falke heraus, hob ab, prallte mit dem Kopf gegen zwei, drei Fenster und flog taumelnd durch die Luft nach draußen, wo er sich auf eine große Buche setzte. Wir gaben ihm keine guten Überlebenschance, da sich am Himmel schon ein paar Krähen zeigten. Diesen zweifelhaften, aber unzweifelhaft klugen Vögeln entgeht kaum ein hinfälliges Lebewesen. Der junge Falke saß erschöpft auf seinem Ast, vielleicht verletzt, sicher geschockt. Wir blickten ängstlich und hilflos zu ihm hinauf, da erschien – ebenso unerklärlich plötzlich wie die Krähen – die Falkenmutter, vertrieb die Räuber und kümmerte sich um ihr Kind. Es überlebte.

Sie merken, dies wird eine bukolische Kolumne. Journalistenlos, kanzlerlos, argumentlos. Sozusagen ein Freiraum, ein innerer Park. Seuchenkolumne minus Seuche.

Hannibal, mittlerweile 16 Jahre alt, ist aufgeregt, denn die Katzen der Umgebung sind rollig. Das beutet, obwohl der arme Kerl kastriert ist, Konkurrenz mit Katern und Präsenz bei Katzen, die a priori nicht wissen können oder nicht wissen wollen, mit welchem Problem sie es bei den Katern zu tun haben. Das macht sie, erotisch gesehen, menschlich.

Wir haben den Verdacht, dass eine Wildkatze unter ihnen ist. Sie schaut jedenfalls gefährlich aus und schleicht mit dem Bauch knapp am Boden herum, was ziemlich zünftig anmutet. Vielleicht ist sie die Erklärung für die Kratzer im Gesicht, die unser Methusalem nun wieder nach Hause bringt. Nachbarn nahmen aus der Stadt eine weiße Katze mit. Die hat ein Problem, weil sie aus jeder Deckung hervorbleckt.

Hannibal muss demnächst von den brütenden Jungvögeln ferngehalten werden; Rotschwänzchen fallen ihm jedes Jahr zum Opfer, da mögen wir ihn einsperren, soviel wir wollen. Wir glauben, die jungen Rotschwänzchen können fliegen, und sie können es, da entschließen sie sich dazu, doch lieber auf dem Boden spazieren zu gehen. Darauf hat Hannibal gewartet.

Als vorauseilende Kompensation fand ich gestern im Schuppen ein Rotkehlchen. Es war bei der Tür hereingeflogen und versuchte, hektisch flatternd und mit dem Köpfchen dagegenschlagend beim Fenster hinauszukommen. Leider war dieses geschlossen. Ich nahm es in meine behandschuhten Hände und ließ es fliegen.

Die Rehgeiß mit ihren zwei Kindern hat sich noch nicht gezeigt, aber ihre Spuren hat sie schon im Lehm hinterlassen. In einem Feld sahen wir kürzlich einen Schwarzstorch. Waldtauben vögeln sich durch die noch blattlosen Bäume, in denen man die wuchtigen Ballen der Krähennester sieht. Ob die Schwalben heuer wieder nisten werden?

Keep cool, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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