Siechknechte des Seriösen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 9

Armin Thurnher
am 25.03.2020

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Seuchenkolumne, das könnte man auch übersetzen mit: Pestsäule. Diese Kolumne gleicht aber nicht jenem nach der Pest gebauten prunkvollen barocken Denkmal, das auf dem Graben noch heute an die verheerende Seuche im Wien von 1679 erinnert. Sie ist eher so provisorisch wie die vom Wiener Stadtrat während der Pest errichtete hölzerne Säule am gleichen Ort, zu der man Bittgänge unternehmen konnte.

Die Pest nahm den Anfang bei armen jüdischen Händlern und Trödlern in der Leopoldstadt, die sie aus Ungarn eingeschleppt hatten. Ein Hochwasser trieb die Ratten aus den Kellern der tiefgelegenen Leopoldstadt in die Wohnungen und verschärfte die hygienische Katastrophe. Warnungen des Arztes Sorbait wurden vom Hof in den Wind geschlagen; man versuchte die Sache zu vertuschen.

Abraham a Santa Clara, der wortgewaltige Prediger, fand natürlich antisemitische Untertöne, als er diejenigen anklagte, die glaubten, die Pest vertuschen zu können, weil sie nur in den Vorstädten die „Spreu“ erwische und den „Weizen“ der inneren Bezirke verschonte. Am Ende flüchtete der Hof aus Wien; in der Stadt regierte derweil eine Pestkommission unter dem Fürsten Ferdinand von Schwarzenberg, der sogar selbst den Spaten in die Hand nahm, als sich Totengräber arbeitsunwillig zeigten. Die Leute nannten ihn den „Pestkönig“. Gewalttäter, Plünderer und räuberische Siechknechte ließ er kurzerhand aufhängen; darunter erscheint ein Lazarettvater bemerkenswert, der kranken Kindern das Brot wegnahm und es verkaufte; außerdem verrechnete er 246 Kranke zuviel. Er wurde an einem Baum bei der Lazarettpforte aufgehängt.

Unterschlagungen und Räubereien werden heutzutage sicher nicht mehr vorkommen, da die Regierung die Wirtschaftskammer mit der Vergabe von Unterstützungsgeldern beauftragt hat. Deren Devise lautet von altersher: den Kleinen und Bedürftigen zuerst! Insgesamt starben 1679 in Wien 140.516 Menschen an der Pest, 50,560 davon in Lazaretten, die man erst der Pest wegen zu errichten begonnen hatte.

Berühmt geworden ist aus dieser Zeit der Volkssänger und Dudelsackpfeifer Max Augustin. Aus Trübsinn darüber, dass ihm – wie heutigen Kleinkünstlern (wo sind die großen?) – die Kundschaft in Scharen wegstarb, betrank er sich in der Schenke „Zum roten Dachl“ am Fleischmarkt und verfasste ein Klagelied über seine Misere: „O du lieber Augustin / S’Geld ist hin, d’Freud ist hin; / O du lieber Augustin, / Alles ist hin.“ Auf dem Heimweg stolperte der Betrunkene, fiel hin und schlief ein; Leichname einsammelnde Pestknechte hielten ihn für einen Toten und warfen ihn in eine Leichengrube. Als er aufwachte, konnte er nicht heraussteigen, und sei „daher er auf den Toten so lange rumgestiegen und habe überaus sehr geschmähet, geschryen und gefragt; wer ihn dahin müsse gebracht haben?“ (Fuhrmann, Alt- und Neuwien, 1738/39), bis ihn bei Tageslicht die Siechknechte fanden und herausholten. Er infizierte sich übrigens nicht.

(Nebenbei: die nach Max Augstin benannte Obdachlosen-Stadtzeitung Augustin kann derzeit nicht vertrieben werden. Hier kann und soll man sie unterstützen!)

Ein prominenter Kollege von mir hatte vor ein paar Tagen den Einfall, das Lied dieses „Lieben Augustin“ zu twittern. Daraufhin überfiel ihn ein Gewitterschauer an Reaktionen, die solchen Unernst schmähten. Auch Anrufe habe er erhalten, erzählte er, von besorgten Kollegen, die ihn zu mehr Ernst aufforderten. Siechknechte des Seriösen, könnte man sagen. Er ist sonst nicht so leicht unterzukriegen, Widerspruch reizt ihn eher, als dass er ihn besänftigt, der Stachel ist für ihn da, um wider ihn zu löcken, aber ihn diesem Fall tat er das Unvorstellbare: er strich die Segel und löschte seinen Augustin-Tweet.

Da dachte ich: mit Humorlosigkeit werden wir das Virus nicht besiegen. Die originale Augustin-Variante will ich auch nicht empfehlen, entspräche sie doch am ehesten der Corona-Party, auf die eine stattliche Zahl von Trotteln jetzt eine gewisse Lust verspürt. Andererseits soff Augustin offenbar allein; das wird – wenn schon – eher empfohlen.

Man soll mit seinen Witzen niemanden kränken, ängstigen oder verhöhnen. Auch zur öffentlichen Erziehung durch Bloßstellen von Fehlverhalten eignen sich Witze nicht unbedingt. Aber zur Erhaltung des Lebensmuts, der Daseinsfreude und zur Erhellung eines oft zum Trüben neigenden Alltags tragen sie auf andere Art genauso gut bei wie Vitamine.

Man muss sich am unfreiwillig Komischen unserer Pestkommission erfreuen, wenn sie wie Conferenciers beim Seuchenoscar oder wie Kellner im Pestcafé vor dem Mikrophon aufmarschieren, sorgfältig darauf bedacht, alle gut zu informieren, über das Virus, aber natürlich auch darüber, was sie alles für uns tun, und dass sie alle da sind, nicht nur der Gesundheitsminister. Immerhin: wir haben keinen Pestkönig. Im Gegenteil, wir haben die Burschen selbst gewählt.

Keep cool, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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