Virensozialismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 3

Armin Thurnher
am 19.03.2020

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Selbstisolation klingt heroisch, auch ein wenig nach Isolationshaft, einer Form von Folter. Heroismus scheint in meinem Fall komplett unangebracht. Den attestiere ich den Menschen in den Krankenhäusern und Arztpraxen, in den Supermärkten und Apotheken und überhaupt allen Organisationen, die den gesellschaftlichen Betrieb aufrecht erhalten.

Auch den Leuten im Falter, die an den Computern sitzen, die nötigen Verwaltungstätigkeiten ausführen und die digitale Infrastruktur aufrechterhalten. Die planen, gestalten, Interviews und Reportagen machen, während ich hier in der Einsiedelei sitze und mir noch dazu gesellschaftlich nützlich vorkommen darf, weil ich mich der Gesellschaft physisch vorenthalte.

Was waren das für Zeiten, als ein Kollege, inspiriert von der Panerotik der 68-er Zeit, an der er gern teilgenommen hätte, begeistert ausrief: „Mein Körper ist befreites Gebiet!“ Nun, mein Körper, falls es Sie interessiert, ist Sperrgebiet. Weit davon entfernt, das zu beklagen, preise ich den Luxus der Askese.

Sie ist verordneter, aber auch selbstgewählter Rückzug aus der Gesellschaft. Am Telefon berichten mir Freundinnen, die sich ebenfalls zurückziehen, wie Lasten von ihnen abfallen: Abendtermine, die sie sowieso nicht besuchen wollten, Veranstaltungen, bei denen sie vor langer Zeit ein Referat zugesagt hatten, das sie sich nun ersparen, Meetings mit Leuten, die sie ohnehin nur aus Pflicht treffen.

All das rutscht von uns ab. „Er spüre Sterblichkeit von sich gleiten wie ,die dreieckige Masse Siziliens‘“, sagt der Lyriker Kallimachos in einem Gedicht von Tim Donnelly. Ja, ich spüre Stress von mir gleiten wie die fünfeckige Masse Niederösterreichs. Selbst zugeteilte Schreib- oder Redaktionsaufgaben fallen mir unendlich viel leichter, sehe ich mich nicht in den Fieberkalender des Aufgabenalltags verstrickt.

Wir nehmen derzeit an einem großen Experiment teil, das feststellt, wie viele unserer meist mit einem Schuss Manie ausgeführten Tätigkeiten wirklich nötig sind und wie viele nicht. Genauso, wie ökonomisch plötzlich sichtbar wird, dass der Sozialstaat sein Gutes hat (ausreichend Spitalsbetten zum Beispiel), genauso wie wir in Kategorien einer Gemeinwohl-Ökonomie denken (koste es was es wolle), genauso können wir uns privat zusehen und uns freuen, die neugewonnen freie Zeit mit Lektüre, Nachdenken, Musik, Spiel, also einfach mit uns und mit anderen zu verbringen. Wir können uns wiedergewinnen.

Ob das die Welt nach der Seuche verändern wird, wie viele nun optimistisch behaupten, weiß ich nicht. Beim Blick auf den neuen, viralen Staatssozialismus gehen einem die aber die Augen auf. Die Ära der Finanzspekulation, sollte sie beendet sein? Die Regierung ist für das Verbot von Leerverkäufen. Die von ihr mitsabotierte Finanztransaktionssteuer scheint wieder willkommen. Eben noch eingeschworen auf die Tugenden der sparsamen Hausfrau, nimmt sie nun fette Defizite hin und setzt sich mit den Sozialpartnern an einen Tisch. Siehe da, unbürokratisch werden Wunder möglich, die Rede vom Betonsozi versinkt in einer Wolke aus Gemeinwohl.

Die Ära des Neoliberalismus schwächte systematisch den Staat und suchte alles Heil im privaten Egoismus. Sie schuf durch systematische Deregulierung eine hypertrophe Finanzwirtschaft, und zwar zu Lasten der Realwirtschaft. Ihre globale Wirtschaft boomte auf Kosten des Klimas. Ist diese Ära nun beendet?Nach der Finanzkrise 2008 hieß es auch, nun werde sich alles ändern. Dies Krise blieb abstrakt, weil sie Einzelne nur mittelbar betraf. Corona trifft alle.

Andererseits übertreffen die Fähigkeiten des Menschen, zu verdrängen und aus Fehlern dumm zu werden, die jedes anderen Lebewesens. Zur Dummheit gehören alle Tendenzen, nun die positiven Seiten der Globalisierung zu kübeln und stattdessen eine Quelle vielen Übels wiederzubeleben, den Nationalstaat. Und statt auf die offenbar vorhandene demokratische Solidarität zu setzen, der Versuchung eines digitalen Autoritarismus nachzugeben. Oder gar politischen Profit aus der Katastrophe zu ziehen.

Ich warte ab und pflücke Veilchen, die kommen auf den Löwenzahnsalat.

Keep cool, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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