„Es heißt ‚zweiter Weltkrieg‘ und dann ist es schon so, uhhh“

Die deutsche Journalistin Nora Hespers erzählt, wie sie die Geschichte ihres Großvaters, eines NS-Widerstandskämpfers, online zugänglich macht


ANNA GOLDENBERG

09.05.2017

Nora „Die Anachronistin“ Hespers auf der re:publica 2017 in Berlin (c) Anna Goldenberg

Frau Hespers, Ihr Großvater Theo Hespers wurde 1943 als Widerstandskämpfer hingerichtet, weil er eine Zeitung herausbrachte. Seit zwei Jahren arbeiten Sie seine Geschichte auf und berichten auf Ihrem Blog „Die Anachronistin“ und im gleichnamigen Podcast darüber. Warum haben Sie diese Medien gewählt?

Ich glaube, dass sich junge Menschen dafür interessieren müssen und benutze diese Medien natürlich, um sie zu erreichen. Das Ding ist nur, die Einstiegshürde ist relativ hoch. Es heißt „zweiter Weltkrieg“ und dann ist es schon so, uhhh. Ich kann’s niemandem verdenken, weil ich ja genauso gedacht habe. Ich hab erst mit 36 Jahren angefangen, mich intensiver damit zu beschäftigen.

Woran liegt das, dass so wenig Interesse an dem Thema da ist?

Weil es eine völlige Übersättigung gibt. Es ist dauernd, du musst, du musst, du musst… Es ist ein dunkler Wust, der drückt so von oben. Mit siebzehn haben mich die Toten von früher nicht interessiert. Mit wem hätte ich darüber sprechen können? Dieses Feststellen, dass wir auch betroffen sind, fängt erst jetzt an, wo die Großeltern sterben und wir das Erbe durchforsten können. Da stellen wir fest, wir haben doch etwas damit zu tun.

Der Sticker zum Podcast (c) Anna Goldenberg

Wie bekommen Sie Menschen zum Zuhören?

Indem ich die Geschichte sehr persönlich erzähle. Das mussten mir sehr viele Leute sagen, als ich den Blog begann: „Ja, ja, die Geschichte ist schon okay, aber interessant ist wie du sie erzählt. Du bist das Medium.“ So entstand der Name „Die Anachronistin“. Ich mein, wie nenne ich das denn? Ich kann ja nicht Krieg in den Titel schreiben, das liest ja keiner. Oder Widerstandskämpfer — so ein sperriger Begriff. Gleichzeitig habe ich die Distanz nicht. Ich bin ein bisschen spießig und ernst, was die Geschichte angeht. Ich kann da nicht flapsig sein oder darüber lachen, sondern es macht mich wütend. Was meinem Großvater passiert ist, geschieht jetzt gerade in der Türkei und hat sich vorher schon in vielen Ländern, wie Syrien, Russland und Polen, zugetragen.

Sie betreiben neben dem Blog und Podcast auch eine Facebook-Seite, einen Instagram- und einen Twitteraccount. Was ist Ihre Strategie?

Ich versuche, die sozialen Medien unterschiedlich zu bespielen. Am Ende sollen alle auf den Blog und den Podcast aufmerksam gemacht werden. Auf Instagram poste ich die Zitate. Diese Typen und das, was sie sagen, ist oft so wortgewaltig, dass ich es gerne als Zitat in die Welt gebe. Facebook ist natürlich ein Medium, auf dem sehr viele Leute sind. Dass ich dort vielleicht nicht so viele erreiche, liegt am Thema. Das ist einfach nicht so mördersexy.

Die Gründung der Pegida-Bewegung Ende 2014 bewog die deutsche Journalistin und Bloggerin Nora Hespers, den Blog „Die Anachronistin“ über die Geschichte ihres Großvaters zu starten. Friedens- und Gewerkschaftsaktivist Theo Hespers (1903 — 1943) floh 1933 nach Holland und gab aus dem Exil eine Zeitschrift heraus. 1942 wurde er im besetzten Antwerpen verhaftet und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.