Der Untergang

Für siegessichere Hillary Clinton-Unterstützer wurde Dienstag Nacht zu einem Albtraum. Ein Protokoll


ANNA GOLDENBERG

09.11.2016

Die Wahlnacht auf CNN (c) Anna Goldenberg

Die Wahlnacht auf CNN
(c) Anna Goldenberg

Es hätte ein gemütlicher Abend werden sollen. Brötchen, Wein, Nachos mit scharfer Käsesoße. Die Nachbarn in Brooklyn, ein Paar Mitte 50, hatten eingeladen. Katharine war schon immer für Hillary Clinton, “schon bevor ‘nasty women’ cool waren”, erzählt sie. Auch die anderen Anwesenden sind überzeugte Demokraten. Man ist nervös, aber siegessicher. Heute Abend soll wie der letzte Tag einer langen, unangenehmen Behandlung werden. Einmal noch schmerzhaft, dann hat man es geschafft. CNN läuft auf dem Flachbildfernseher.

Um 19:49 Uhr liegt Clinton in Florida in Führung. “Weiter so, Baby”, wird sie aus dem bunt eingerichteten Wohnzimmer aus angefeuert. Man unterhält sich darüber, wie lange man beim Wahllokalen anstehen musste.

Um 20 Uhr schließen die Wahllokale in 16 Bundesstaaten und in DC. CNN sagt vorher, dass mehrere südliche Staaten, die meist republikanisch wählen, an Donald Trump fallen werden. “Was für ein Schocker!” Man lacht. Ich esse Nachos. Wir beobachten, wie sich die Karte von Florida langsam einfärbt. Um 20:15 Uhr übernimmt Trump erstmals Führung. “Ich hoffe, das Land wird bald vom Meer überflutet”, sagt jemand. 88 Prozent der Stimmen sind nun ausgezählt, Trump führt — doch die Bezirke um die großen urbanen Zentren, die meist demokratisch wählen, sind noch nicht ausgewertet. Man beruhigt sich ein wenig.

Fünfzig Minuten später sagt Wolf Blitzer, der CNN-Host, es sei überraschend, wie knapp das Rennen in Florida sei. Die ersten Zuseher fangen an zu fluchen. “Verdammt, Trump ist ziemlich gut drauf!” Katharine öffnet eine Flasche Prosecco, sie brauche das jetzt. Wir essen Kartoffeln und Braten. Der Umgangston wird schärfer. Ich bekomme eine Sms von einer amerikanischen Freundin: “Mein Herz schlägt so schnell!”

Um 22:25 Uhr gewinnt Trump Ohio. Mittlerweile rechnet die New York Times mit 87-prozentiger Wahrscheinlichkeit mit einem Sieg Trumps. Wir essen Donuts. Fünf Minuten später gewinnt Clinton Virginia. Erleichtertes Aufatmen ist zu hören. Um 22:50 Uhr gewinnt Clinton Colorado. “Bernie Sanders wäre ein besserer Kandidat gewesen”, sagt jemand. “Hör auf damit”, ist die scharfe Replik. Das habe man schon oft genug diskutiert.

Um 23 Uhr verkündet CNN, Trump würde Florida gewinnen, kurz darauf auch North Carolina. “Aaaah!” Die atemlosen Analysen auf CNN machen uns nervös. Wir wechseln zum Fernsehsender MSNBC, der kurz ins Javits Center in Manhattan schaltet, wo Hillary Clinton ihre Wahlparty halten soll. Starre Gesichter in der Menge. “Sie kann noch gewinnen!” Doch in den übrigen, wahlentscheidenden Swing States wird es immer knapper. Je mehr Stimmen ausgezählt werden, desto stärker verfestigt sich Trumps Führungsposition.

Man redet vom Auswandern (England? Israel? einer der Bundesstaaten, wo Marihuana legalisiert wurde?) und der Möglichkeit, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen in zwei Jahren ihre Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus verlieren. “Trump wird das Land wie ein Monopolyspielbrett behandeln.”

Gegen zwei Uhr morgen gibt Hillary Clinton in einem privaten Telefongespräch mit Donald Trump ihre Niederlage bekannt. Im Wohnzimmer fließen Tränen.