Wen wählt Williamsburg?

Rund 340.000 streng religiöse Juden leben in und um New York. Meist wählen sie republikanisch. Auch dieses Mal?


ANNA GOLDENBERG

31.10.2016

Streng religiöse Juden in Williamsburg (c) Wikimedia Commons

Streng religiöse Juden in Williamsburg
(c) Wikimedia Commons

Die Division Avenue trennt Welten. Im Norden liegt das Williamsburg der Coffeeshops, Vintagemärkte und Hipster. Im Süden lebt eine riesige, ultraorthodoxe jüdische Gemeinde. Statt bunten Wandmalereien sieht man Geschäftsfronten in hebräischen Buchstaben, statt jungen Menschen mit Leggings und Hornbrillen Männer mit Schläfenlocken und Fellhüten. Und viele, viele Kinder.

In New Yorks Vielfalt gab es kaum eine Bevölkerungsgruppe, die mich so faszinierte wie jene der rund 340.000 streng religiösen Juden, die in der Stadt und den Vororten leben. Das hat mehrere Gründe: Zunächst einmal das Bedürfnis, diese abgeschottete Gesellschaft zu verstehen. Ihr Leben dreht sich um die Religion, sie haben ihre eigenen Institutionen — von Schulen über Supermärkte bis Zeitungen — und sogar ihre eigene Sprache, Jiddisch. Sie leben neben uns und doch ganz anders. Doch wie?

Darüber hinaus hat man, wenn man als säkuläre Jüdin in Wien aufwächst, wenig Berührungspunkte mit Charedim, wie sich jene Gruppen, die weltliche Kultur ablehnen, selbst nennen. Es ist das Klischeebild, das Außenstehende oft von Juden haben — und das einem selbst genauso fremd ist.

Im Wahljahr 2012 verbrachte ich deshalb viel Zeit in einigen ultraorthodoxen Enklaven in Brooklyn. Ich wollte verstehen, wie diese Gruppen politisch tickten. Sie bilden nämlich eine der wenigen Ausnahmen im ansonsten demokratischen New York, indem sie den Republikanern ihre Stimme geben. Einerseits, so lernte ich, hat das damit zu tun, dass republikanische Kandidaten meist “Familienwerte” betonen; die Geburtenrate in den Gemeinden ist mit acht bis zehn Kindern pro Familie extrem hoch, Abtreibung wird größtenteils abgelehnt. Außerdem werden die Republikaner als verlässlichere Unterstützer von Israel gesehen.

Andererseits möchten die ultraorthodoxen Gruppen von der Regierung in Ruhe gelassen werden — bei bestimmten Dingen. So forderten etwa viele Menschen, mit denen ich sprach, sogenannte “Schulgutscheine”: Weil sie ihre Kinder in private, religiöse Schulen schickten, sahen sie nicht ein, warum sie für das Schulgeld keine steuerlichen Erleichterungen bekommen konnten. Gleichzeitig sind viele der Mitglieder auf staatliche Hilfen, wie etwa Essensmarken und Mietzuschüsse angewiesen.

Vor vier Jahren stand man hinter Mitt Romney. Wie sieht es 2016 aus? Eine Mehrheit könne der republikanische Kandidat Donald Trump schon erreichen, erzählt mir ein politischer Beobachter aus Borough Park, Brooklyn. Aber so eindeutig wie vor vier Jahren werde es nicht sein. Trump hätte sich kein bisschen um die Gemeinden bemüht. Die Ergebnisse der republikanischen Vorwahlen, an allerdings verhältnismäßig wenige Wähler teilnahmen, zeigen das: In Borough Park und Williamsburg lag Ted Cruz vorne.

UPDATE — 7. November 2016

Die einflussreiche ultraorthodoxe Gruppe der Satmar hat ihre Mitglieder aufgefordert, für Hillary Clinton zu stimmen. Rund 10,000 Wahlberechtigte leben im streng religiösen Dorf Kiryas Joel nördlich von New York City.