
ANNA GOLDENBERG —
19.10.2016
Zu den prägendsten Eindrücken meiner Zeit in New York gehört Sandy. „Hurricane Sandy“, um genau zu sein, aber den Titel muss man hier nicht dazusagen. Schließlich hat jeder eine persönliche Beziehung zu dem Unwetter, das in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 2012 die US-Ostküste heimsuchte, Verwüstungen in der Höhe von über 71 Milliarden US-Dollar anrichtete und 233 Menschenleben kostete.
In den Tagen davor machten wir uns über die von der Stadt empfohlenen Vorbereitungsmaßnahmen lustig. Wir sollten Kerzen und Wasser einlagern — am besten die Badewanne volllaufen lassen —, unverderbliches Essen kaufen und uns einen Tag und eine Nacht nicht aus der Wohnung begeben. Kurse an der Uni fielen aus, die U-Bahn fuhr nicht, alle Läden waren geschlossen — tatsächlich eine Seltenheit in New York.
Im Norden von Manhattan, wo ich lebte, merkte man am nächsten Tag bis auf einige abgerissene Äste kaum etwas. Doch begab man sich am Abend darauf südlich der 34. Straße, sah man — nichts. Der Strom war ausgefallen, einige Restaurants kochten bei Kerzenlicht, auf den Straßen türmten sich Säcke mit abgelaufenen Lebensmitteln aus den Geschäften.
Dann trudelten die Neuigkeiten von den Tragödien ein. 150 abgebrannte Häuser in Breezy Point, Queens, ertrunkene Kinder auf Staten Island, gebrechliche Menschen, die im 10. Stock eines Apartmentkomplexes festsaßen, weil der Strom ausgefallen war. Dazu ein Verkehrschaos, weil Tunnels überschwemmt waren.
Dementsprechend unübersichtlich ging es bei den Wahlen acht Tage später zu. Weil viele Menschen bei Freunden oder Verwandten untergekommen waren, bildeten sich vor manchen Wahllokalen stundenlange Schlangen. Andere blieben leer. Obama wurde wiedergewählt.
Zwar verwüstete Sandy auch Gegenden, die begehrt und teuer sind, da Wohnraum an den Ufern von Brooklyn, Queens und Manhattan gefragt ist, doch am härtesten traf es die Armen. Etwa in Far Rockaway, einer Halbinsel südlich von Brooklyn, wo es nach Meer riecht und man Mitte Oktober noch Surfern begegnet. Die Arbeitslosigkeit sei gestiegen, höre ich, weil viele Kleinunternehmer ihre Geschäfte nach den Zerstörungen nicht wiedereröffnen konnten. Wegziehen? Auch nicht einfach, wenn man in einer zugewiesenen Sozialwohnung lebt. Mit der U-Bahn braucht man rund anderthalb Stunden nach Manhattan.
Wird der neue Präsident oder die neue Präsidentin etwas daran ändern? Pfff, was bringen uns hier Diskussionen über Sex Tapes? Das Obdachlosenheim, das eröffnet werden soll, regt mehr auf.
Vier Jahre später scheint sich die Stadt von den Folgen der Katastrophe erholt zu haben. Die Veränderungen fallen nur auf, wenn man genau hinsieht. Etwa die Strandpromenade auf den Rockaways, das waren früher Holzbretter. Jetzt ist sie betoniert.