Wollen wir mit der Überwachung leben?

Die diesjährige re:publica zeigte zwei mögliche Szenarien – eine Utopie und eine Dystopie

INGRID BRODNIG | 09.05.2014

Eines machte die diesjährige re:publica klar. Das Netz befindet sich in einer entscheidenden Phase: Nun, da wir von der ungeheuren Überwachung wissen, wird diese Normalität? Auf der Konferenz zeichneten sich zwei mögliche Szenarien ab:

Szenario 1: „Wie ich lernte, die Überwachung zu lieben“

So lautete der Vortrag von Blogger Felix Schwenzel. Aber natürlich hielt er kein Plädoyer pro Überwachungsstaat, sondern kritisierte die Netzcommunity und somit auch sich selbst. Man sei bisher verdammt schlecht, die Gefahren der Totalüberwachung glaubhaft hinüberzubringen. „Die Gefährdung der Demokratie, die wir an die Wand malen, ist für viele nicht nachvollziehbar“, meinte er bei seinem Auftritt.

Dies würde auch zu Szenario 1 führen: Einer Gesellschaft, die die permanente Überwachung als Normalität hinnimmt – diese vielleicht nicht unbedingt liebt, aber auch nicht genug hasst, um wirklich etwas zu tun.

Szenario 2: „Wir müssen von einer Hobby-Lobby zu einer ernsthaften Lobby werden“

Dieser Satz stammt von Sascha Lobo. In seiner „Rede zur Lage der Nation“ schlug er ein alternatives Szenario vor: Die digitale Bewegung muss zu einer richtigen Bewegung wird (und nein, hier sind nicht die Piraten gemeint). Man müsse sich organisieren, auch die herkömmlichen Institutionen von innen infiltrieren und wer schon nicht selbst aktiv sein will, könne soll zumindest Spenden. Szenario 2 ist eine Zukunft, in der die Netzlobby endlich eines klar machen kann: Es geht hier nicht um das Internet, sondern um die Frage, ob Bürgerrechte in digitalen Zeiten überhaupt noch etwas wert sind.

Derzeit ist in der Tat beschämend, dass selbst der siebente Zwerg von links unter den Umweltorganisationen mehr Geld hat als die bedeutendsten digitalen Bürgerrechtsorganisationen. Was sagt das über die ach-so-idealistische Netzgemeinde aus?

Die diesjährige re:publica hat, vermute ich, viele wachgerüttelt. Wir befinden uns derzeit eher vor Szenario 1. Aber vielleicht ist es bis zur nächsten re:publica möglich, konkrete Ideen und Projekte für Szenario 2 zu entwickeln, um dann nicht ganz so nachdenklich und desillusioniert heimfahren zu müssen.